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Brighton: Seebad zwischen Tradition und sexueller Revolution

Die sexuelle Revolution, sagt man in Brighton, fand nicht in den 60er- oder 70er-Jahren statt. In Brighton war man schon im 18. Jahrhundert mittendrin. Gelegen an der Küste des Ärmelkanals trotzt das traditionsreiche südenglische Seebad allen Klischees. Brighton ist tolerant und weltoffen– und hat mit der einen oder anderen anzüglichen Anekdote pikante Geschichte geschrieben.


Brighton: Seebad zwischen Tradition und sexueller Revolution ♥ Lesezeit: 7 Minuten


Schuld war der Vergnügungen nicht abgeneigte Prince of Wales, der später als George IV. England regieren sollte und mit 21 Jahren im Jahr 1783 zum ersten Mal nach Brighton kam. Er genoss es, dem strengen Vater und den höfischen Zwängen zu entkommen und ließ am Meer seinen Lastern freien Lauf: Mätressen, Mode und Mahlzeiten, wobei das Essen offensichtlich am wichtigsten war: Der Prince of Wales fiel ziemlich aus seiner Prinzenrolle mit seinem stattlichen Bauchumfang von 124 Zentimetern und dem wenig schmeichelhaften Spitznamen „Prince of Whales“ – Prinz der Wale. Das hinderte ihn aber nicht, seine Selbstsucht auszuleben: Er ließ einen Palast bauen, der alles in den Schatten stellen und einen Ort schaffen sollte, an dem er seine Mätressen treffen konnte. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Der Architekt John Nash schuf den Royal Pavilion nach ziemlich klaren Vorgaben: ein bisschen Indien, ein bisschen China. Da aber weder der Prinz noch der Architekt je in einem der beiden Länder war, ist das Ergebnis eine Mischung aus Taj Mahal (außen) und chinesischem Kunstwerk (innen). Verrückt? Ja. Aber eine Geschichte, die die Stadt geprägt und ihr eine freigeistige Attitüde verpasst hat. Heute ist der Royal Pavilion die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Brighton.

Brighton wird gerne als „London by the sea“ bezeichnet, da die Stadt gerade mal 80 Kilometer südlich der britischen Metropole in der Grafschaft Sussex liegt und als das traditionsreiche südenglische Seebad gilt. Keine Frage, entlang der „Front“, wie die Einheimischen die Gegend am Wasser nennen, kann es vor Menschen und Möwen wuseln, aber: Brighton ist kleiner als London, deshalb hat man ein größeres Gemeinschaftsgefühl. Und weil es weniger voll ist, ist in Brighton alles viel gechillter. So entspannt lief auch die nächste sexuelle Revolution ab, die in Brighton stattfand. Zwar wurde Homosexualität im Königreich offiziell erst 1967 entkriminalisiert, es gab aber schon in den 1950er-Jahren Schwulenproteste für einen eigenen, heterofreien Strand. Kämpfen muss heute niemand mehr darum, wie er leben und lieben darf: Ca. 25 % der Einwohner bezeichnen sich als LGBT-Personen, die Stadt hat den größten Anteil an gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in Großbritannien. 

Brighton ist weitsichtig und weltoffen, vor allem im Bezirk Kemptown. Hier sind Hotels, Lokale und Shops rosaroter und plüschiger als anderswo, aber auch humorvoller und verrückter; kein Wunder, dass man munkelt, Lewis Carroll hätte seinen Kinderbuchklassiker „Alice im Wunderland“ hier geschrieben. Der Autor verbrachte mehrere Sommer am Sussex Square 26 in Kemptown; einem Haus mit Garten, in dem es einen Tunnel gibt, der unter der Straße zum Strand führt. Belege dafür gibt es nicht, der Besitzer des Hauses warb dennoch damit, ließ es renovieren – und brachte es im Frühling 2016 auf den Markt: für £ 3,65 Millionen (ca. € 4,1 Millionen)!

Das Geld gibt man in Brighton aber lieber an einer anderen Stelle aus, zum Beispiel in den putzigen The Lanes, den historischen Gassen der Stadt. Wo einst die ersten Häuser Brightons eng aneinandergebaut wurden, ist heute ein labyrinthähnliches Gassengewirr aus dem 17. Jahrhundert, mit Boutiquen, Cafés und Restaurants. Merkmal: die bunten Fähnchen, die über den Straßen flattern. Nur ein paar Straßen weiter nördlich gehen The Lanes über in North Laine. Der Name ist kein Schreibfehler und das i bewusst gesetzt, denn Laine ist ein altes englisches Wort für Feld: Das Viertel war bis zum 18. Jahrhundert nichts anderes als ein weites Feld. Heute kann man hier Shopping zelebrieren. Die Stadtplaner haben dafür gesorgt, dass sich keine Supermarkt-, Kaffeehaus- oder sonstige Kette ansiedeln darf, deshalb kauft man individuellen Geschäften und unterstützt die Einzelhändler Brightons. 

Die wichtigste Seite der Stadt liegt an der See, denn Brighton stellt das bekannteste Seebad Großbritanniens. Schon um 1750 herum wandelte sich Brighton von einem Fischerdorf in ein Seebad. Obwohl damals das Schwimmen im salzigen Meer den Menschen suspekt erschien, erkannten Mediziner die heilende Wirkung von Seebädern und verschrieben Kuren an der Küste gegen so gut wie jede Krankheit. So kam die britische Aristokratie nach Brighton und ließ die Stadt immer mehr wachsen. Der Hype der britischen Sommerfrische hielt an, bis die Strände Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs geschlossen wurden. In den späten 1940er und 1950er Jahre kam die Liebe zur Küste dann zurück und hält bis heute an.

Am augenfälligsten an Brightons Küste ist der berühmte Brighton Pier, die Seebrücke der Stadt, die stolze 500 Meter in den Ärmelkanal ragt. Der erste Pfahl wurde am 7. November 1891 gesetzt, bis das Bauwerk dann im Mai 1899 eröffnet wurde. Heute befinden sich auf der historischen Brücke vielerlei Buden und Attraktionen wie auf einem Jahrmarkt, nachts wird der Pier mit 67.000 Glühbirnen illuminiert. Spaziert man nur wenige Meter an der Wasserfront in Richting Westen, stößt man auf die ursprüngliche Seebrücke. Der West Pier wurde 1866 gebaut, ist aber nach zwei Bränden und mehreren Stürmen heute nicht mehr benutzbar. Als Fotokulisse eignet er sich aber prima! Apropos: Eines der schönsten Fotomotive an der Promenade ist „The Bandstand“, ein Pavillon aus dem viktorianischen Zeitalter, der 1884 eröffnet wurde. Zwischen dem alten und dem neuen Pier thront seit 2016 der Aussichtsturm British Airways i360, der mit seinen 138 Metern Höhe (nach dem Hochhaus The Shard in London) die zweithöchste öffentlich begehbare Aussichtsplattform im Vereinigten Königreich ist. 

Von hier oben sieht man das bunteste Wahrzeichen der Stadt: Im Westen von Brighton stehen die berühmten Beach Huts. Die bunten Häuschen im Stadtteil Hove haben eine lange Tradition. Ursprünglich errichtet, um der Prüderie des viktorianischen Zeitalters entgegenzuwirken, wurden die Hütten aufgestellt, um sich darin umzuziehen. Weil Nacktheit damals verrufen war, wurden „Badekarren“ erfunden. Das war eine Art hölzerne Umkleidekabine auf zwei oder vier Rädern, die von Pferden ins Wasser gezogen wurde. Man zog sich in der Kabine um und konnte ann über eine Treppe ins Wasser steigen. Heute sind die Beach Huts in Brighton ein Touristenmagnet und heiße Ware unter den Einheimischen. Rund £ 12.000 (ca. € 13.400) muss man für ein Strandhäuschen hinblättern. Außergewöhnlich? Ja. Vielleicht ist das das Wort, das die Stadt am besten beschreibt. Egal ob einst der schrille George IV., der fantasievolle Autor Lewis Carroll oder seine abenteuerlustige Heldin Alice: Außergewöhnlich sind sie hier alle im Wunderland Brighton.

Reiseblog Kosmopoetin.com

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Offenlegung 

Visit Britain und Visit Brighton haben mich eingeladen, nach Brighton zu reisen. 

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