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Brescia in Norditalien: Geschichten hinter der Geschichte von Brescia

Es sind die Geschichten hinter der Geschichte, die den Zauber von Brescia ausmachen. Die 200.000-Seelen-Stadt in Norditalien offenbart an jeder Straßenecke ein anderes Kapitel. Die Kelten, die Römer, die Langobarden, die Karolinger, die Österreicher: Sie alle waren hier. Wer genauer hinsieht, entdeckt eine mehr als 3.000 Jahre alte Stadt, deren spannendsten Seiten unter der Erde liegen.


Geschichten hinter der Geschichte von Brescia ♥ Lesezeit: 8 Minuten


„Attenzione!“ ruft ein Italiener mit fast schon grimmiger Miene. „Please wait!“ – „Warten Sie!“ Er deutet auf einen Bildschirm, auf dem ein Video läuft, und beobachtet streng, ob wirklich alle Besucher zuschauen. „Attenzione!“, setzt er zur Sicherheit noch einmal hinterher. Hier unten, ein paar Meter unter der Erde in der „Aula Occidentale“ der Republikanischen Kultstätte in Brescia, kommt man nicht einfach so rein. Wo man einen banalen Keller vermuten würde, liegt eine imposante Ausgrabungsstätte mit Fresken, Mosaikböden, korinthischen Säulen und elfenbeinfarbenem Putz. Weil viele der archäologischen Funde mit Bienenwachs und Olivenöl poliert wurden, um die Oberflächen glänzender zu machen, muss der Staub, den man von der Straße mit herunterbringt,erst mal sacken. Deshalb sagt der strenge Museumsangestellte „Attenzione!“, deshalb sieht man sich das Video an. Danach hat sich der Staub gelegt und man schlendert staunend durch die Relikte einer Geschichte, die ab 89 v. Chr. im Römischen Reich geschrieben wurde. Über 2.000 Jahre später kann man drei Minuten Wartezeit also locker verkraften. 

Die Kelten, die Römer, die Langobarden, die Karolinger, die Österreicher: Sie alle waren hier, in der Lombardei, zwischen Mailand und Verona, zwischen Lago di Garda und Lago d’Iseo. Die Österreicher waren es angeblich auch, die indirekt dafür daran beteiligt waren, dass die Stadt den Spitznamen „Leonessa d’Italia“ erhielt: Als die Gegend unter österreichischer Herrschaft stand, kam es im Jahr 1849 zum sogenannten Zehn-Tage-Aufstand, aus dem die Italiener als Sieger hervorgingen. Der Legende nach nennt man Brescia seither „Leonessa d‘Italia“, also „Löwin Italiens“. Wer Brescia nicht kennt, muss sich nicht schämen, große Namen wie Rom, Mailand oder Venedig machen es kleineren Städten schwer, sich in Italien zu behaupten. Was schade ist, denn die 200.000-Seelen-Stadt punktet mit Geschichte und Geschichten, die sich einem völlig unerwartet offenbaren.

Spaziert man durch die Altstadt und beobachtet in einem kleinen Innenhof, wie eine italienische Großmutter Wäsche aufhängt, kann es durchaus sein, dass man in der Mauer hinter der verwaschenen Unterhose ihres Mannes Fresken entdeckt, malerisch schön und alt, sehr alt. Und wieder fragt man sich: Waren das die Kelten? Die Römer? Die Langobarden? Es waren irgendwie alle, das lernt man spätestens, wenn man durch die Via die Musei schlendert, einst eine römische Magistrale (ein antiker Hauptverkehrsweg), heute eine schmale Straße, in der auch das „Museo Santa Giulia“ (Via dei Musei 81) liegt. Wer jetzt „Langweilig!“ schreien will, sollte dem Klosterkomplex eine Chance geben, denn ein Museum ist das hier echt nicht: Auf über 14.000 m2 taucht man in unterschiedliche Epochen ein, spaziert zwischen Kirchen, Hallen, Häusern und Gärten und staunt über historische Überbleibsel, die bis in die Bronze- und Eisenzeit zurückreichen! Immer wieder geht es auch nach unten oder tun sich Räume auf, denn neben Ausgrabungen gibt es auch Wasserläufe und historische Bewässerungskanäle. Wer „Under Brescia“ kennenlernen will, sollte bei „Brescia Underground“ eine Tour buchen und so den „doppelten Boden“ der Stadt erkunden. Das schönste Schmuckstück in Brescia trägt übrigens exakt 212 antike und wiederverarbeitete Gemmen: Das berühmte„Kreuzdes Desiderius“ wurde dem Kloster San Salvatore und Santa Giulia im 8 8. Jahrhundert von dem berühmten langobardischen König Desiderius geschenkt. Bewundern kann man es in der Abtei San Salvatore (auch auf dem Gelände des Museo Santa Giulia). 

Es ist aber nicht nur das unterirdische Brescia, das die schönsten Geschichten erzählt, auch über den Straßen gibt’s viel zu entdecken, allen voran auf vier großen Plätzen, wo sich das Leben abspielt, jede Piazza aber auch ihre eigene Geschichte hat: Die Piazza Paulo VI stammt aus dem Mittelalter, die Piazza della Loggia weist Einflüsse aus der Renaissance und der venezianischen Zeit auf, die Piazza del Foro trägt Spuren aus der Römerzeit und die Piazza Vittoria entstand unter dem Einfluss von Mussolini. Es ist der Mix, der das Stadtbild prägt und besonders macht, aber auch der Schmäh: Als zum Beispiel das Teatro Grande um 1800 umgebaut wurde und Napoleon sich ansagte, wollte man es „Il Grande Teatro“ nennen, eine Hommage an den Namen „Napoleon, der Große“ – „Il Grande“. Der Kleine (er war ja nur 1,68 Meter groß!) erschien aber nicht – und die Stadt konterte damit, das „Il“ aus dem Namen zu streichen. So wurde aus dem „Theater des Großen“ ironischerweise „Das große Theater“. 

Apropos groß: Pasta spielt in Italien eine große Rolle, kein Wunder, dass es auch in Brescia eine lokale Besonderheit gibt: Casoncelli, im Dialekt Casonsei, sind eine Art Ravioli. Die Fülle besteht aus Salami, Spinat, Eiern, Maronen, Sultaninen, Käse, Petersilie und verschiedenen Gewürzen – und Butter, einer Menge Butter. In vielen Lokalen kommt sie nicht aus dem Supermarkt, sondern direkt vom Produzenten, genauso wie der Käse, den man hier in allen Reifungsgraden genießt, denn Slow Food wird in Brescia großgeschrieben. Zum Beispiel im Restaurant „El Licinsì di Kilometri Zero“ (Via Monte Grappa 15): Das Lokal wurde mit recycelten Möbeln eingerichtet, die Speisekarte ist klein, grün und fein: Hier wird nur mit Lebensmitteln aus der Region gekocht, auch hier weiß das Team genau, von welchem Produzenten die Butter und von welchem der Wein kommt. Ziel ist es, dass die Zutaten so wenige Kilometer zurücklegen wie möglich. 

Das grüne Konzept ist auch in der Modeszene klar im Aufwärtstrend: Das merkt man, wenn man den Laden „Ce l’ho solo io“ (Via Fratelli Porcellaga 13) betritt: Über mehrere Räume verteilen sich die schönsten Kleider, die alle etwas gemeinsam haben: Sie sind Einzelstücke. Übersetzt bedeutet der Name des Shops „Das habe nur ich!“ – und das ist auch das Motto von Designerin Adele: Jedes Stück gibt es nur ein einziges Mal, alles wird in Italien gefertigt. Auch bei „Fairmade – Storie da indossare“ (Corso Palestro 45) erwartet einen ein spannender Zugang zu Fashion: Weil den Betreiberinnen ein ethischer Zugang zu Mode am Herzen liegt, gibt es kein Teil in dem Geschäft, von dem sie nicht den Hintergrund und die Entstehung kennen. Was die drei Worte im Namen des Geschäfts bedeuten? „Geschichten zum Anziehen.“ Da sind sie wieder: die Geschichten hinter der Geschichte von Brescia.

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Offenlegung 

Die ENIT Italia hat mich eingeladen, nach Brescia zu reisen. Dieser Artikel wurde in gekürzter Fassung in der Zeitschrift miss veröffentlicht.

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