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Travel-Talk Island: Interview & Insidertipps für Reykjavik von Melina Rathjen

Eigentlich kam sie nur für ein Praktikum nach Island. Mittlerweile lebt Melina Rathjen seit bald sechs Jahren in Reykjavik und kann sich ein Leben ohne arktische Luft und isländische Lockerheit nicht mehr vorstellen. Ein Gespräch über die Magie von Fjorden, Lavafeldern und Vulkanlandschaften, ein Blick auf die lustigen Eigenheiten der Isländer - und viele Insidertipps für Reykjavik von einer, die Island wirklich ins Herz geschlossen hat.

Wenn du den Charakter der Isländer in einem Satz beschreiben müsstest: Was würdest du sagen?

Die Isländer sind zugleich chaotisch und unkompliziert. Vieles läuft – vor allem im Vergleich zum deutschen Gewohnheits-Bild – sehr unorganisiert ab, aber gleichzeitig nehmen sie das mit einer wahnsinnigen Gelassenheit hin, die wiederum zu kreativen und oft guten Lösungen führt. Oft aber auch wortwörtlich in den Bankrott. (lacht)

Ist die Mentalität der Großstädter in Reykjavik anders als die der Isländer, die auf dem Land leben?

Definitiv. Grundsätzlich sind die Isländer in den Städten – wie in vielen Ländern – liberaler, jünger, bunter. Das zeigt sich auch in der Politik, wo vor allem die Sozialdemokraten in der Hauptstadt weiter vorne liegen (in den letzten Wahlen bekamen sie 25,88% in Reykjavík und nur 12,1% bei den Parlamentswahlen). Das liegt auch daran, dass die Isländer auf dem Lande noch zum großen Teil in der Landwirtschaft oder in der Fischerei arbeiten (wenn nicht im Tourismus) und sich eher den Programmen der konservativen Parteien zugeneigt fühlen, die vor allem diesen Wirtschaftszweigen mehr versprechen, während in der Hauptstadt mehr Leute an kulturellen und sozialen Punkten interessiert sind. Ich habe auch das Gefühl, dass die Leute auf dem Land oft wärmer und gastfreundlicher sind, zumindest wenn man sie als Reisende trifft. Vielleicht, weil der Tourismus-Boom vor allem die Hauptstadt hart getroffen hat. Aber das liegt am Ende wirklich an der jeweiligen Person und Tageslaune, denke ich. 

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Foto: Esther Thorvaldsdóttir

Warum lebst du überhaupt in Reykjavik?

Ursprünglich bin ich für ein Praktikum hergekommen, nachdem ich zweimal als Reisende hier war. Ich habe Kultur- und Medienmanagement studiert und fand vor allem die Musikszene und Reykjavík spannend. Das Praktikum habe ich bei dem isländischen Musikexport-Büro Iceland Music gemacht. Nach wenigen Monaten habe ich mich heimisch gefühlt. Alles hier ist alles so klein, dass man schnell Orte und Menschen kennenlernt. Für mich war klar, dass ich mehr Zeit brauche in Island. Ich entschied mich, nach dem Praktikum richtig umzuziehen und bekam glücklicherweise immer Jobs im Musikbereich. Ich habe lange für Festivals gearbeitet, u.a. für das Iceland Airwaves, Secret Solstice und Sónar Festival. Nun ist das 5,5 Jahre her – und ich bin immer noch hier. 

Was ist das Beste daran, in Reykjavik zu leben? 

Einerseits liebe ich grundlegende Dinge wie die unglaublich frische Luft und das gute Wasser. Das klingt sicher banal für viele, aber ich merke jedes Mal einen riesengroßen Unterschied, wenn ich im Ausland bin, und freue mich, wenn ich zurück nach Island komme und diese frische, arktische Meeresluft um mich habe. Sowieso ist die Natur ein großer Faktor. Ich liebe es, einerseits in einer Stadt mit kulturellem Leben zu wohnen, aber auch so unglaublich krasse Natur um mich zu haben. In 15-20 Minuten Autofahrt ist man raus aus der Stadt und kann Fjorde, Lavafelder, Vulkanlandschaften und die Berge um sich haben. Das ist für mich unbezahlbar. Und dann die Mentalität! Sie kann mich zwar manchmal in den Wahnsinn treiben, wenn es um Organisatorisches geht, aber grundsätzlich läuft alles unkomplizierter. Grundsätzlich stelle ich immer wieder fest, dass man sich weniger Sorgen und Gedanken macht. Ob das daran liegt, dass alles kleiner ist, oder dass alles von Extremen geprägt ist und langes Vorausplanen sowieso nicht so funktioniert und man eher in dem lebt, was man gerade um sich hat, oder ob da noch mehr dazukommt, da bin ich mir manchmal nicht sicher. Aber alle meine Auswanderfreunde, die auch hier leben, stellen das gleiche fest. In Island ist vieles einfacher, lockerer, entspannter, man fühlt weniger gesellschaftliche Zwänge. Das vermittelt ein Gefühl von Freiheit. Ich denke oft, dass mich Island limitiert in dem, was ich hier habe und machen kann (man vermisst schon so einiges), aber gleichzeitig habe ich so viel Freiheit hier wie vielleicht an keinem anderen Ort, zumindest nicht in Deutschland. 

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Simone de Greef

Erinnerst du dich noch an deine ersten Gedanken, als du angekommen bist?

Ich erinnere mich Jahre später immer noch an das Gefühl und die Gedanken, sowohl als ich das erste Mal als Tourist hier war, als auch

für das Praktikum. Die ersten Gedanken und Gefühle sind verbunden mit der Luft, dem Geruch von Freiheit, wie ich es nennen würde, und der Lockerheit in allem. Vor allem, wenn man ankommt und noch nicht im Alltag verloren geht, so überwiegt dieses Gefühl von Leichtigkeit. Ich erinnere mich auch daran, wie sehr ich die Mischung aus Natur und all diesen süßen, kleinen, bunten, typisch isländischen Häusern mochte. 

Lass uns über Insidertipps für Reykjavik sprechen. Der instagram-tauglichste Platz in der Stadt ist …

Die „Harpa“, das Konzerthaus im Hafen mit den Bergen im Hintergrund. Sowohl von außen als auch innen super schön und beeindruckend. So viele Blickwinkel und immer wieder etwas Neues, das man entdecken kann. 

Du hast ein großes Faible für Musik. Welche sind die besten isländischen Bands?

Einerseits bin ich ein Fan von drei bekannten Künstlern, Sigur Rós, Ólafur Arnalds und Emiliana Torrini. Dann gibt es aber auch eine riesengroße Szene mit international mäßig bekannten oder total unbekannten Künstlern, von denen ich viele mag. Die Genres vermischen sich. Ich mag eine ganz wilde Mischung. Meine Top 10 sind Valdimar, Pétur Ben, Svavar Knútur, amiina, Snorri Hallgrímsson, Hjaltalin, aYia, Samaris, ADHD und Hjaltalin (hier habe ich eine Playlist mit meinen Lieblingssongs).

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Foto: Esther Thorvaldsdóttir

Und welche Musikclubs sind Insidertipps für Reykjavik und die coolsten, um Live-Musik zu hören?

Es gibt kaum typische Clubs. Dem am nächsten kommen „Húrra“ und „Gaukurinn“, die beide nebeneinanderliegen und recht klein sind, aber gemütlich. Hier kann man viel Live-Musik hören. Ich liebe das „Iðnó“, ein altes, wunderschönes Gebäude, das vor ca. zwei Jahren von neuen Leuten betrieben und seitdem als kultureller Angelpunkt genutzt wird. Und dann gibt es noch einen Ort namens „Mengi“, in dem man in sehr kleinem, aber angenehmen Rahmen Musik erleben kann und wo oft interessante Künstler auftreten, auch aus dem Ausland. 

Dein Lieblingsshop in Reykjavik – und warum? 

Fischer“! Dieser Laden wird vom Sigur-Rós-Sänger Jónsi und seinen Geschwistern geführt und bietet ein Erlebnis für alle Sinne. Man hört Ambient-Musik, die von Jónsi und anderen befreundeten Künstlern gemacht wurde und die man dort auch kaufen kann. Dann hat dieser Laden einen unglaublich interessanten Geruch, denn im Keller ist eine unheimlich aussehende Parfum-”Station”. Man fühlt sich wie am Filmset von “Das Parfum” und kann dort auch Parfum kaufen, das von Jónsi selbst hergestellt wurde und unglaublich toll und interessant riecht. Außerdem gibt es viele weitere Dinge, wie Druckwerke von Pflanzen, selbsthergestellte Kosmetik (Shampoo, Zahnpasta, Gesichtsöl und mehr), Kerzen, Tee und vieles mehr. Alles ist naturverbunden, künstlerisch und einzigartig. Wenn man Glück hat, trifft man Atlas, den Hund des Hauses, der auf Instagram schon lange eine Berühmtheit ist. Manchmal kommen auch Weltstars. Einmal war ich dort und scherzte mit einem Herren herum. Erst hinterher erfuhr ich, dass es der Schauspieler Gerard Butler war. Dieser Laden ist einer der besten Insidertipps für Reykjavik. Selbst wenn man nichts kauft, verlässt man ihn immer, als wäre man in einer anderen Welt gewesen. 

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Reden wir über kulinarische Insidertipps für Reykjavik: Die beste lokale Spezialität, die man kosten muss – und wo?

Ich selbst esse kein Fleisch und bin auch wie die meisten Reykjavíker kein Fan davon, dass Wal- oder Puffingerichte angeboten werden (die meisten Isländer essen das nicht). Ich empfehle aber sämtliche Fischgerichte, denn der Fisch ist wirklich gut. Es gibt ein traditionelles Essen names Plokkfiskur. Ursprünglich war es eher das Arme-Leute-Essen, es ist hauptsächlich Fisch gemischt mit Kartoffeln, Zwiebeln und Bechamel-Sauce. Ich persönlich mag das sehr gerne, dazu bekommt man typisch isländisches Rugbrauð, ein süßen Brot mit salziger Butter. Es gibt ein Restaurant names „Salka Valka“, dass guten Plokkfiskur hat. Ansonsten empfehle ich „Ostabúðin“, mein liebstes Fischrestaurant, das vor allem zu Mittagszeiten auch wirklich gute Preise für Topqualität hat. 

Deine drei Lieblingsrestaurants in Reykjavik – und warum?

Das genannte „Ostabúðin“, mein Lieblings-Fischrestaurant mit moderaten Preisen, verglichen mit anderen Restaurants. Im „Matbar“ kann man viele kleine Dinge probieren, etwas im Tapas-Style. Die Küche ist etwas gehobener und jedes Gericht wird wie ein kleines Kunstwerk präsentiert. Also etwas für einen besonderen Abend. Das Restaurant „Gló“ funktioniert eher wie die Uni-Mensa, aber ich mag es total gerne. Erstens ist es deutlich günstiger als herkömmliche Restaurants in Reykjavík, gleichzeitig schmeckt mir das Essen sehr gut. Das besondere ist, dass man hier ausschließlich veganes Essen anbietet und alle Produkte wirklich frisch sind. Das macht es zu einem Ort, der für Menschen mit diversen Unverträglichkeiten etwas ist. Wenn man also gesundes und trotzdem leckeres Essen und seinen Geldbeutel schonen will, dann ist es der perfekte Ort zum Essen.

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Foto: Esther Thorvaldsdóttir

Die besten Insidertipps für Reykjavik, wenn man Lust auf einen sagenhaften guten Drink hat?

Ich selbst trinke nicht mehr, habe mir aber sagen lassen, dass „Apótek“ sehr gute Cocktails haben soll. Auch die bereits erwähnte Matbar hat gute Cocktails. Ein einzigartiger Ort der anderen Sorte ist die recht neue „Bar Miami“, in der man zurück in die 80er geht. Ein Designbüro hat es sich nicht nehmen lassen, alles rauszuholen, was nur geht, inklusive dem blauen Teppich. Klingt schrecklich, ist es auch irgendwie, und trotzdem haben sie es als supercoole Hipster-Bar umgesetzt.

Eine Sache, die man in in Reykjavik nicht machen sollte?

Auf der Straße oder in Hinterhöfen pinkeln oder sein Geschäft verrichten. Gab’s leider viel zu oft und sehe ich immer wieder. Googelt einmal öffentlich Toiletten oder geht ins nächste Café. So schwer kann das ja nicht sein. Es gab auch Zeiten, in denen Leute sich die teuren Unterkünfte sparen wollten und wahllos in Vorgärten oder Parks gecampt haben (und dann natürlich auch ihren Scheiß – wortwörtlich – und Müll haben liegen lassen), oder die von Tür zu Tür gelaufen sind, um nach einem Schlafplatz zu fragen. Not cool! Oh ja, auch nicht so gerne und dennoch oft gesehen: Leute, die nicht nur die süßen Häuser fotografieren, sondern einen Schritt weitergehen und durch die Fenster gucken und Fotos machen. 

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Eine Sache, die die meisten Touristen noch nicht über Reykjavik wissen?

Immer noch recht unbekannt bei Touristen ist der Strand Nauthótsvík. Hier kann man im Meer baden, es gibt eine kleine Lagune, in der das kalte Meerwasser und warmes Geothermal-Wasser zusammenkommen. Wenn einem das immer noch zu kalt ist, kann man sich auch in einen heißen Pot setzen. Im Sommer ist der Eintritt sogar frei! 

Wenn du Island-Anfängern raten solltest, wie sie ihre erste Reise gestalten sollen: Was würdest du raten?

Leute sind oft gestresst, weil sie sich nicht entscheiden können, was sie machen sollen und wie sie möglichst viel in einen Urlaub kriegen. Ich sage immer, dass es im Grunde egal ist, denn es gibt keine hässlichen oder enttäuschenden Orte. Was genau man macht, kommt darauf an, was man grundsätzlich mag und wie viel Zeit man hat. Grundsätzlich denke ich immer mehr, dass es schön ist, sich nicht nur abzuhetzen und im Auto zu sitzen, sondern auch mal länger an einem Ort zu sein, spazieren zu gehen oder einen Berg zu erklimmen oder sich Zeit für einen Besuch im Pool oder einer heißen Quelle zu gönnen. 

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Foto: Esther Thorvaldsdóttir

Eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die aber deiner Meinung nach fehlt?

Drei Dinge, die dich wie ein richtiger Isländer fühlen lassen:

1. Besuch in einem lokalen Pool! Dort geht der typische Isländer mehrmals wöchentlich hin, vor allem, um im heißen Pot über Politik oder den Alltag zu reden. Garantiert einer der besten Insidertipps für Reykjavik!

2. Eis essen ist nach dem Poolbesuch Volkssport Nummer 2. Am besten abends um 22 Uhr bei strömenden Regen und auch im Winter zur Eisdiele fahren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass du da in einer Schlange stehen wirst, denn vor allem abends nach dem Abendessen und vielleicht einem Fernsehabend gehen die Isländer gerne nochmal raus für eine Kugel Eis.

3. Kaffee trinken! Island ist eine Kaffee-Nation. Fast überall bekommt man unglaublich guten Kaffee, hier in Island geröstet. Ich empfehle „Reykjavík Roasters“. Wenn man normalen Filterkaffee kauft, kann man außerdem überall so viel nachnehmen, wie man möchte. 


Zur Person

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Foto: Esther Thorvaldsdóttir

Melina Rathjen ist 32 und kommt ursprünglich aus Deutschland. Sie hat Kultur- und Medienmanagement studiert und kam vor knapp sechs Jahren nach Island, usprünglich nur für ein Praktikum. Heute lebt sie in Reykjavík und arbeitet als Musikmanagerin bei der Peer Agency. Mehr zu Melinas Leben in Island gibt es auf auf Facebookund Instagram.

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