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Negev in Israel: Wo die Dünen wispern und die Wüste spricht

Dort, wo sich Sand und Stein zu einem hügeligen Meer aus sanften Dünen formiert haben, zeigt sich Israel von seiner stillsten Seite. Die Negev-Wüste macht 60 Prozent des Staates Israel aus und bringt Urlauber bei einer Reise durch das Heilige Land zurück zu sich selbst. Nirgendwo anders ist Stille so laut, wenn man – alleine gelassen mit seinen Gedanken in einer Welt aus Sand und Stein – die Dünen wispern und die Wüste sprechen hört.


Negev in Israel: Wo die Dünen wispern und die Wüste spricht ♥ Lesezeit: 4 Minuten


„Die Wüste spricht”, sagt mein Guide und legt den Finger auf die Lippen. Wir haben gerade eine steile Klippe erklommen und stehen nun mitten in einer unwirklichen Landschaft, irgendwo im Nirgendwo in der Judäische Wüste, wo sich vor mir sanfte Hügel aus Sand und Stein auftun und nichts zu hören ist außer meinem Atem und dem Wind, der erbarmungslos pfeift.

„Die Wüste spricht”, sagt mein Guide und geht auf Abstand; ich soll innehalten und warten, ich soll hören und sehen. Die Abendsonne lässt die scharfen Konturen der Landschaft plötzlich weich wirken. Das letzte Licht des Tages umhüllt die schroffen Kanten in warmen Pastellfarben, und ich muss an „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry denken: „Ich habe die Wüste immer geliebt. Man sitzt auf einer Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Doch etwas leuchtet in der Stille.“

Die Wüste Negev bedeckt 60 Prozent des Staates Israel, insgesamt erstreckt sie sich auf einem Gebiet von 12.000 km². Gemessen an der Größe ist die Gegend dünn besiedelt, denn nur 10% der Bevölkerung leben hier, in dieser seltsam anmutenden Welt aus Sand und Stein. Das sind Menschen, die sich dem Zauber der Landschaft ergeben haben und schon immer wussten: „Die Wüste spricht.“

Negev in Israel: Wo die Dünen wispern und die Wüste spricht

Das Schweigen der Wüste ist derart mächtig, dass man jeden Pulsschlag hören kann. Die Landschaft wirkt wie eingefroren, als ob jemand die Zeit angehalten hätte, damit man die Schönheit der Wüste auch wirklich versteht. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, nur die unendliche Weite der Dünen, die bis zum Horizont und noch weiter reichen, als würden sie sich weigern, ein Ende zu finden.

Der Negev erstreckt sich von Eilat im Süden Israels über das zentrale Mitzpe Ramon bis hin nach Beerscheba im Norden. Das hebräische Wort Negev bedeutet so viel wie trocken – doch auch wenn die Gegend auf den ersten Blick karg und unwirtlich wirken mag, birgt die einsame Kraterlandschaft eine Schönheit, die einen sofort gefangen nimmt.

Vielleicht ist es auch die lange Geschichte des Negev in Israel, die einen so berührt. Steht man alleine gelassen auf einer Klippe und lässt seinen Blick schweifen, kann man erahnen, wie die Welt einst zu ihrer Entstehung aussah. Ob heute, vor Jahren oder Jahrhunderten: Sandkörner wurden verweht, Steine verschoben, doch das Gesamtbild ist unverändert und trägt keine Zeichen der Zeit.

Die Wüste Negev wurde schon im Alten Testament erwähnt. Erste Siedlungen wurden im 9. Jahrhundert vor Christus von den Assyrern errichtet, 500 Jahre später entstanden mehrere Städte unter den Nabatäern. 100 nach Christus eroberten dann die Römer die Negev, im 4. Jahrhundert hielt das Christentum Einzug. Die Beduinen ziehen seit Tausenden von Jahren durch diese Gegend, obwohl die Regierung schon lange versucht, sie zur Sesshaftigkeit zu zwingen. Doch sie wollen nicht. Ihrer tief verwurzelten Lehre nach führen die Wege der Weisheit stets durch die Wüste.

Negev in Israel: Wo die Dünen wispern und die Wüste spricht

„Die Wüste spricht”, das ist auch eine Lehre, die man in der Bibel findet. Alten Bibelauslegern zufolge redet Gott dort, wo der Mensch schweigt. In der Wüste hören Menschen Gott reden, und es gibt keinen Propheten, so sagte man früher, der nicht zuvor ein Hirte in der Wüste war.

Im 2. Buch Moses in Kapitel 13 werden die Kinder Israels auf ihrem Weg ins Gelobte Land über einen Umweg geführt – durch die Wüste Sin, eine Steinwüste im Negev in Israel. Wie durch ein Wunder werden sie mit Nahrung und Wasser versorgt, auch Moses wird in der Wüste mit seiner Frau und seinen Kindern wieder vereint: „Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.“

Noch heute rätseln Bibelforscher, warum Gott sein Volk nicht auf dem kürzesten Weg ins Gelobte Land geführt hat, sondern den Umweg durch die Wüste nehmen ließ. Eine konkrete Antwort darauf gibt es nicht, viele meinen aber: Sie mussten zuvor Gott reden hören lernen. Und das geht eben in der Wüste.

Negev in Israel: Wo die Dünen wispern und die Wüste spricht

Überhaupt ist die Wüste ein starkes Element in der Bibel. Jesus war 40 Tage in der Wüste, wo er fastet und den Versuchungen des Teufels widerstand, die ihn heimsuchen: „Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden“ (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 4). Vor ihm war es Elia, der 40 Tage und Nächte bis zum Berg Choreb wanderte, wo er schließlich Gott wahrnahm – im „stillen sanften Sausen“ des Windes (1. Königebuch, Kapitel 19).

Wüste ist aber nicht gleich Wüste, Negev ist nicht gleich Negev in Israel. Deshalb gibt es viele verschiedene Worte dafür; für die trockene Wüste, die sandige Wüste, die bergige Wüste. Für die grüne Wüste, für die bewachsene Wüste, für jene Wüste, wo sich Hirten hintrauten. Das Wort „MiD`BáR“ bezeichnet eine Wüste mit einem Hauch von Grün zum Weiden. Dasselbe Wort bedeutet auch „Rede“, oder „Mund mit dem man spricht“. Daraus schließen Bibelforscher: Gott ließ sein Volk durch etwas ziehen, das „Wüste“ und „sprechender Mund“ bedeutete.

„Die Wüste spricht”, sagt mein Guide und ich nicke, als das stille, sanfte Sausen des Windes auch mir zuwispert.

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Ein Kommentar

  1. Wow, das ist ja wunderschön!

    Vielleicht kann die Wüste ein Symbol für das große „Nichts“ sein. Der Ort, wo nichts ist – trägt in sich zugleich das Potential für alles Denkbare.
    Der ideale Platz, um Gott zu begegnen. Oder sich selbst?

    Der Dschungel ist nicht weniger faszinierend – aber auf eine ganz andere Art. Da muss man ständig aufpassen, dass man nicht in irgendwas lebendiges tritt. (-:

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