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Schilf, Steppe, See: Neusiedlersee-Radweg im Burgenland

Im östlichsten Zipfel Österreichs ermöglicht der Neusiedlersee-Radweg ein sanftes Gleiten durch die Weite der Pannonischen Tiefebene entlang des Wassers des größten und ungewöhnlichsten Steppensee Europas. Der Neusiedlersee ist fast rundum von einem bis zu fünf Kilometer breiten Schilfgürtel umgeben – und führt auf 117,5 Kilometer in die pralle Natur des Nordburgenlands.


Schilf, Steppe, See: Neusiedlersee-Radweg im Burgenland ♥ Lesezeit: 7 Minuten


Der B10 Neusiedlersee-Radweg im Burgenland, dem östlichsten Bundesland Österreichs, führt entlang des Schilfgürtels rund um den See und durch die flachgebügelte Pannonische Tiefebene. Von den berühmten Bergen der Alpenrepublik ist hier keine Spur. Im Gegenteil: Die Landschaft erstreckt sich eben und endlos weit. Kein Wunder, dass der tiefste Punkt Österreichs am Ostufer des Neusiedlersees zu finden ist: auf 114 Metern Meereshöhe auf dem Gemeindegebiet von Apetlon.

Schilf, Steppe, See: Neusiedlersee-Radweg im Burgenland

Start in Neusiedl am See

Vom Startpunkt in Neusiedl am See braucht es nur wenige Tritte in die Pedale, schon gleitet man zwischen Weingärten und Wiesen in die pralle Natur. Noch liegen die sanften Hänge des Leithagebirges in Reichweite, doch je näher man dem See kommt, umso flacher wird die Landschaft. In der Ferne zeichnen sich Umrisse von Dörfern ab. Ein Kirchturm am Horizont ist ein treues Indiz dafür, dass der nächste Ort nicht weit ist. 

Am Nord- und Westufer des Neusiedlersees laden Orte wie Jois, Winden am See, Breitenbrunn oder Purbach zu einer Rast mit einem Gläschen Wein ein. Längst sind Weine aus dem Burgenland über die Grenzen Österreichs bekannt. Schon die alten Römer betrieben hier Weinbau. Dank des kontinental-heißen pannonischen Klimas und mehr als 300 Sonnentagen im Jahr gedeihen die Trauben besonders gut. Das Weinbaugebiet Neusiedlersee erstreckt sich über 6.675 Hektar vom Nord- über das Ostufer des Sees. 

Schilf, Steppe, See: Neusiedlersee-Radweg im Burgenland

Neusiedlersee-Radweg: Purbach

Mit einer Fläche von 1.461 Hektar macht die Rebsorte Zweigelt im Weinbaugebiet Neusiedlersee den größten Anteil aus. Dazu kommt eine große Rebsortenvielfalt: Weiße Trauben wie Weißburgunder, Welschriesling, Muskat Ottonel, Sauvignon Blanc, Neuburger, Bouvier, Traminer und Chardonnay sind ebenso beheimatet wie die roten Rebsorten Zweigelt, Blaufränkisch, Blauburgunder, Cabernet Sauvignon und Merlot. 

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Die wichtigsten Weindörfer am Neusiedlersee sind Rust (westlich des Sees) sowie Illmitz und Gols (östlich des Sees), der erste Stopp auf der Route führt ins beschauliche Purbach. Hier, am Fuße des Leithagebirges, bauten die Winzer bereits um 1850 ihre Weinkeller. Noch heute gibt es rund 50 davon in der historischen Kellergasse. Der Begriff „Kellergasse“ wird vorwiegend in Österreich verwendet und bezeichnet eine Gasse, in der sich Weinkeller und Presshäuser befinden. Die Purbacher Kellergasse gilt als die schönste ihrer Art. 

Neusiedlersee-Radweg: Oggau am See

Von Purbach geht es über Donnerskirchen nach Oggau am See, der ältesten Rotweingemeinde Österreichs. Hier befindet sich das einzig etwas steilere Stück des Neusiedler See-Radweges auf der österreichischen Seite, das hinauf in die Weinberge führt. Auf dem höchsten Punkt liegt der wohl schönste Aussichtspunkt an der Westseite des Neusiedlersees: die Weinlaubenkuppel.

Von der Weinlaubenkuppel hat man einen weiten Ausblick auf Oggau und den See in seiner ganzen Länge. Umgeben von Weinbergen wurde hier im Jahr 2000 die vom Künstler Heinz Bruckschwaiger geschaffene Weinlaubenkuppel eröffnet. Der Rastplatz besteht aus einem gewölbeartigen Gang und einer von Weinreben umschlungenen Kuppel. Steht man unter dem weinumrankten Kunstwerk, scheint der Blick über den See nicht zu enden.

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Neusiedlersee-Radweg: Rust

Von der Weinlaubenkuppel geht es bergab und man meint, durch die Weinberge zu schweben. So dauert es nur 15 Minuten, bis Rust erreicht ist – und damit auch das erste Mal das Ufer des Neusiedlersees. Vom Ortskern führt der Radweg drei Kilometer durch das Schilfgebiet, bis man in der Ruster Bucht ankommt. Mit einer Tiefe von nur 1,0 bis 1,80 Meter gilt der Neusiedlersee als Besonderheit. Im Laufe der Geschichte trocknete der See immer wieder aus, zuletzt in den 1860er-Jahren. So entstand auch der Name: Weil einst die sandige Senke zum Teil neu besiedelt wurde, wurde das Gewässer zum Neusiedlersee.

Rust bezaubert nicht nur mit dem See, sondern auch mit Störchen. Das Burgenland ist bekannt als das Land der Weißstörche. Diese landen zwischen Mitte März und Mitte April und beziehen ihre Nester auf Hausdächern und Schornsteinen. Rust gilt als „Stadt der Störche“. Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich hier der erste Weißstorch nieder, heute gibt es die größte Weißstorchkolonie des Burgenlandes. Zwischen siebzehn und zwanzig Paare verbringen hier die Hälfte des Jahres, um sich zu fortzupflanzen. 

Neusiedlersee-Radweg: Mörbisch am See

Von Rust geht es nach Mörbisch am See. Auch hier führt der Radweg über mehrere Kilometer durch Schilf ans Seeufer. Im Wasser erhebt sich mit der 3.600 Quadratmeter großen Seebühne eine der größten Open-Air-Bühnen der Welt. Jedes Jahr im Sommer werden vor der Naturkulisse des Neusiedlersees Operetten, Singspiele und Musicals aufgeführt. Die Seebühne steht in einer Bucht neben dem Mörbischer Badestrand auf vielen Hundert Pfählen nach den Plänen des Architekten Ferry Windberger. 

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Beim Leuchtturm von Mörbisch müssen Radfahrer sich entscheiden: Bei einer kompletten Seeumrundung führt der Weg nun über die Grenze nach Ungarn. Denn 41,5 Kilometer der 117,5 Kilometer langen Strecke verlaufen auf ungarischer Seite. Wer die Strecke abkürzen will, nimmt in Mörbisch die Fähre und gleitet in 25 Minuten an die Ostseite des Sees nach Illmitz.

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Radweg in Ungarn

Der Neusiedlersee, so heißt es, hat drei Seiten: eine naturkundliche, eine kulinarische und eine historische. Letztere ergibt sich durch die geographische Lage. Bis 1921 waren der Seewinkel und die gesamte, überwiegend deutschsprachige Region rund um den Neusiedler See Teil der ungarischen Reichshälfte des zerfallenen Österreich-Ungarns. Erst danach kam das Burgenland als jüngstes Bundesland zu Österreich. Später verlief der Eiserne Vorhang quer durch den See. 

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Wegen dieser Trennung und der geographischen Nähe zu Wien genossen vorwiegend Wiener:innen das Urlaubsflair am See. Deshalb wird der Neusiedlersee noch immer als das „Meer der Wiener“ bezeichnet. Später schrieb der See Geschichte, als 1989 die Außenminister Ungarns und Österreichs am Westufer symbolisch den Stacheldraht zerschnitten und den Eiserne Vorhang öffneten. Zehntausende DDR-Bürger flohen in den Westen. Heute erinnert das Denkmal zum „Paneuropäischen Picknick“ an der ungarisch-österreichischen Grenze in Fertörakos an jene Zeiten.

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Natur pur am Neusiedlersee-Radweg

Schon 1935 gab es Bestrebungen, einen Nationalpark einzurichten. Es dauerte aber bis 1993, als der Neusiedlersee mit seinem Umland zum Nationalpark erklärt wurde. 2001 folgte die Adelung als UNESCO-Weltkulturerbe. Heute hat der Nationalpark im Burgenland eine Fläche von 9.652 Hektar und 23.721 Hektar auf ungarischer Seite. 43 Prozent bestehen aus Schilf, 30 Prozent aus Wiesen und Weiden, 27 Prozent aus See und Lacken. Das sind wichtige Rastplätze für Zugvögel: Um die 350 verschiedene Vogelarten wurden hier dokumentiert. 

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Am Ostufer des Neusiedlersees gibt es Salzlacken, die älter sind als der See. Sie entstanden, als sich während der letzten Zwischeneiszeit ein salzführender Bodenhorizont bildete, von dem Salz an die Oberfläche gelangte. Heute gibt es im europäischen Binnenland nur im Seewinkel und in Zentralungarn Salzlacken. Sie sind Teil des streng geschützten Nationalparks und ein wichtiger Lebensraum: Im Wasser leben etwa Urzeitkrebse, die es seit der Zeit der Dinosaurier gibt und als Nahrung für Vögel wie Säbelschnäbler und Seeregenpfeifer dienen. Die Gebiete sind bedroht: Von 140 Salzlacken sind nur 45 erhalten. 

Die „Hölle“ am Radweg 

Zwischen Illmitz und Podersdorf liegt mit der „Hölle“ ein natürlich entstandener Seedamm. Auf einer Fläche von rund 3.000 Hektar erstrecken sich Salzlacken, Wiesengebieten, Seevorgelände und Schilfgürtel. Hier brüten zahlreiche Graugänse und Stelzenläufer. Überhaupt: Neben Brutvögeln – um die 350 verschiedene Vogelarten wurden dokumentiert und beobachtet – gibt es auch Vierbeiner im Nationalpark: Przewalski-Pferde, Steppenrinder, Wasserbüffel, Weiße Esel. 

Durch diese Beweidung wird die Biodiversität bewahrt. Bauern, die ihr Land an den Nationalpark verpachten, bekommen eine sogenannte „Ertragsentgangsentschädigung“. Dafür zahlt der Park jedes Jahr etwa 3,5 Millionen Euro an rund 1.250 Grundbesitzer im österreichischen Teil.

Der „Himmel“ am Radweg 

Rund um den See liegen mehrere Designer-Radrastplätze, die mit Windsegeln und Schilfkuppeln Schatten und Schutz vor dem Wind bieten. Immer wieder trifft man auf Aussichtstürme, die einen phänomenalen Blick über den Neusiedlersee ermöglichen. Ein Highlight im wahrsten Sinne des Wortes ist der „Himmel“, zu dem zahlreiche Stufen auf eine Plattform in 16 Meter Höhe führen. Der Blick reicht weit über den See, an klaren Tagen sogar bis über das Westufer zum Leithagebirge.  

Nun folgt das letzte Stück am Neusiedlersee-Radwegerst nach Podersdorf und über Weiden am See zurück zum Ausgangspunkt in Neusiedl am See. Zuvor macht der durchgehend asphaltierter Radweg eine Ausnahme: Das Stück zwischen Podersdorf und Weiden am See ist nicht asphaltiert, sondern fein geschottert, da die Kleinstlebewesen, die in dieser Schutzzone leben, den Asphalt nicht überqueren könnten. 

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Neusiedlersee-Radweg: Podersdorf

Podersdorf liegt am einzigen schilffreien Strandabschnitt. Das Wahrzeichen des Ortes ist der Leuchtturm, der auf einem in den See hinausführenden Steg emporragt. Zwar nur auf zwölf Meter Höhe, das reicht allerdings aus, um ihn in der ebenen Landschaft des Neusiedler Beckens weithin sehen zu können. Der rot-weiß gestreifte Leuchtturm ist einer der raren Leuchttürme Österreichs und gleichzeitig einer der südlichsten im deutschsprachigen Raum. 

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Die Abkühlung nach dem Radfahren liegt hier zum Greifen nahe: Rund um den Neusiedlersee gibt es mehrere Freibäder. Neben Schwimmen steht Wassersport hoch im Kurs – für Anfänger wie für Fortgeschrittene. Der Neusiedler See bietet mit seiner geringen Wassertiefe und den vorherrschenden Windverhältnissen beste Bedingungen. Es gibt zahlreiche Segel-, Surf und Kiteschulen. Wer will, kann mit einem SUP-Board oder im Kajak über das Wasser gleiten. 


Buch-Tipp

Der Lonely-Planet-Bildband „Legendäre Radtouren in Österreich“ ist nach den Vorgängerbänden zu Europa und Deutschland das dritte der Reihe. 15 Kollegen und ich erzählen 30 spannende Geschichten über die schönsten Radrouten in Österreich. Die sportliche Leistung steht dabei nie im Vordergrund, sondern Abenteuer und Genuss.


Offenlegung

Dieser Artikel erschien in einer ausführlicheren Fassung in dem Lonely-Planet-Bildband „Legendäre Radtouren in Österreich“.

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